Seit mittlerweile zehn Jahren lebt Silvia Furtwängler in einem Häuschen auf der Hardangervidda. Inmitten unberührter Natur ist die 56-Jährige mit ihrer Familie und ihren Hunden oft wochenlang durch Schnee und Eis von der Außenwelt abgeschnitten. Einsam, aber glücklich. „Mein Ursprung ist in Deutschland, aber meine Heimat ist hier, wo ich mich wohlfühle“, erklärt Silvia ihre Entscheidung für ein nahezu autarkes Leben. Die nächste Stadt befindet sich rund 60 Kilometer weit entfernt. Straßen gibt es in unmittelbarer Umgebung keine – im Sommer reisen die Furtwänglers per Boot, im Winter mit dem Schneemobil. Was sie zum Leben benötigen, beschaffen sie sich selbst: Silvia fischt oder jagt Elche und Rentiere. Die norwegische Wildnis bietet der Deutschen alles, was sie braucht – hier trainiert sie ihre Hunde und bereitet sich mit ihnen auf außergewöhnliche Rennen vor. Mehr als drei Jahrzehnte schon ist der Schlittenhundesport Silvia Furtwänglers große Leidenschaft. Dabei fing alles eigentlich ganz „normal“ an: „Ich habe Hunde schon immer geliebt“, erklärt die Frau mit der wilden Lockenmähne.
„Meinen ersten Vierbeiner hatte ich bereits als Kind. Einen englischen Pudel, schwarz, klein, wuselig. Blacky war sein Name. Der lief mir einfach zu, wie so viele Hunde in meinem Leben.“ Aktuell sind es mehr als 30, darunter Haus- und Schlittenhunde. Mit Silvia und ihrer Familie leben der Malinois-Mix-Rüde Bullet, eine Herder-Collie-Mix-Hündin und eine Chow-Chow-Labrador-Hündin – alle drei kommen von Auffang- bzw. Tötungsstationen. Außerhalb des Hauses haben die Alaskan Huskys ihr Revier. „Meine Schlittenhunde leben alle draußen. Ab und zu darf mal einer mit ins Haus, z. B. wenn ich die Hunde massiere, oder ein Tier besondere Aufmerksamkeit benötigt. In der Regel wollen sie dann aber schnell wieder raus, es ist ihnen drinnen einfach zu warm.“ Durch manche Verhaltensweisen unterscheiden sich die Arbeits- von den Haushunden, dennoch gibt es auf beiden Seiten besondere Vierbeiner. „Ich hatte bisher zwei wirklich herausragende Huskys in meinem Leben“, erinnert sich die Musherin (Fachausdruck für eine Hundeschlittenführerin). „Mini, eine Alaskan Husky Hündin und Caruso, ein Sibirischer Husky Rüde. Beide leben leider nicht mehr, aber sie waren der Schlüssel bei einem meiner bisher größten Erlebnisse – dem Yukon Quest, einem 1.600 km langen Schlittenhunderennen in Alaska/ Kanada.“
1985 nahm die Deutsche an ihrem ersten Schlittenhunderennen teil, und ist der Verbundenheit zwischen den Hunden und der Natur bis heute verfallen. Dabei wollte Silvia ursprünglich nur einen Hund, der sie daheim auf Fahrradtouren begleitet. Ein Arzt hatte ihr verletzungsbedingt empfohlen, den Handball an den Nagel zu hängen und sich anderweitig sportlich zu betätigen. So zog der Siberian Husky Chan ein und lenkte das Leben der Kölnerin langsam aber sicher in eine neue Richtung. Niemals hätte Silvia geahnt, wie sehr Mensch und Hund durch die gemeinsamen Abenteuer in der Wildnis zusammenwachsen. „Fahrten mit dem Hundeschlitten sind sehr anstrengend, aber auch magisch und fast schon spirituell. Ich glaube, meine Lebenseinstellung hat sich dadurch nicht verändert, sie hat sich nur über die Jahre verfestigt. Sich selber treu bleiben, egal was andere von einem halten. Ich lebe nach dem Motto: Es ist, wie es ist, und es kommt, wie es kommt.“
„Vorbilder habe ich keine, ich habe alles von Anfang an aus dem Bauch heraus gemacht“, erklärt Silvia Furtwängler den Umgang mit ihren Schlittenhunden. „Ich habe jedoch strikte Regeln, weil ich der Meinung bin, dass Hunde Regeln benötigen. Im Rudel gibt es sie auch, wer etwas anderes behauptet, hat noch nie gesehen wie Hunde miteinander umgehen. Ich liebe die Kommunikation durch Körpersprache. Das ist etwas, dass Hunde super beherrschen und verstehen. Warum sollte man nicht nutzen, was in uns allen liegt?“ Gemeinsam trotzen Mensch und Hund im Training oder Wettkampf den Naturgewalten und gehen an ihre körperlichen sowie psychischen Grenzen. Bei -10 bis -20 Grad Celsius herrschen für die Huskys optimale Trainingstemperaturen. Oft fährt die Extremsportlerin mit ihren Vierbeinern extra bei Nacht, mit Stirnlampe durch den Sturm. „So ist man auf jegliche Widrigkeit vorbereitet“, schmunzelt Silvia Furtwängler. Und wie hält man sich über Stunden bei eisigen Minustemperaturen warm? „Gute Bekleidung ist wichtig, und wenn es zu kalt wird, arbeitet man einfach mehr mit. Ach ja, und singen auf dem Schlitten. Das hört sich zwar nicht schön an, hilft aber ungemein!“ Dass ihr Trainingskonzept funktioniert, beweist Silvia ein ums andere Mal. 2014 nahm sie als einzige Westeuropäerin am Volga Quest in Russland teil: 600 Kilometer auf der zugefrorenen Wolga mit dem Schlitten durch Russland. Von acht Teilnehmern ist sie die einzige Frau – und nur sie gelangt ins Ziel. „Als ich mit meinen Hunden die Ziellinie überquert habe, war mir klar: Egal, was in meinem Leben noch kommt, ich schaffe es!“
„Die wahren Helden sind die Hunde. Wenn sie dir schwanzwedelnd mit einem Lächeln im Gesicht mitteilen; alles ist gut, dann weiß man, ohne diese wunderbare Meute wäre man nichts.“
Im Gespann mit 14-16 Hunden trainiert Silvia auch ohne Schnee. „Wenn ich im frühen Herbst mit dem Training beginne und zu dem Zeitpunkt noch kein Schnee liegt, benutze ich ein Quad oder einen Trainingswagen. Um Kraft und Ausdauer geht es in den ersten Wochen über ca. 20 km. Sobald Schnee liegt, gehe ich mit den Hunden auf Distanz. Am Anfang über ca. 40 km, später auf ca. 80 km Strecke.“ Ihre Taktik, um die härtesten Schlittenhunderennen der Welt zu meistern, beruht auf Teamwork. „Ich gebe meinen Hunden das Gefühl, dass sie sich auf mich verlassen können. Wenn man mitten in einem Rennen ist und die Hunde müde werden, oder ihnen das Wetter zusetzt, ist es wichtig das rechtzeitig zu erkennen und zu berücksichtigen. Den Tieren die nötige Zeit zu geben, selbst wenn die Platzierung dahin ist, damit sie motiviert und mit Power und Elan wieder ins Rennen kommen. Im Gegenzug kann ich bei Sturm mitten in der Nacht, wenn man nur doch die ersten zwei Hunde direkt vor sich sieht, den Leadern vorne im Gespann absolut vertrauen, dass sie den Trail finden.“ Ihr bisher härtestes Rennen war Silvias erste Teilnahme am Yukon Quest 2001.
„Ich hatte mir damals ein Team geleast, weil ich der Meinung war, dass meine deutschen Hunde das Rennen nicht schaffen können. Nach 800 km musste ich in Dawson aufgeben. Es war ein unendlicher Lernprozess: Fahre ich weiter, oder gebe ich auf? Was ist mir wichtig? Das Gerede, dass man versagt hat? Oder die Sorge, dass den Hunden etwas passiert? Ich entschied mich, aufzugeben. Die beste Wahl in meinem Leben! Daraus habe ich gelernt, dass Niederlagen oft auch Erfolge sind, nur dass man dies nicht sofort erkennt. Durch diese Niederlage war ich im Stande mir ein tolles Hundeteam aufzubauen, zu erkennen wie wichtig gegenseitiges Vertrauen ist, aber auch der unbändige Glaube an sich selbst der beste Motivator ist.“ Dementsprechend folgte einer von Silvia Furtwänglers schönsten Erfolgen nur wenige Jahre später: das Yukon Quest 2003. „Ich bin damals mit einem Team aus Hunden gestartet, die keiner mehr haben wollte: Nicht schnell genug, zu alt, kein Teamplayer … Zwei Jahre lang habe ich intensiv mit diesen wundervollen Tieren gearbeitet, bis ich mit ihnen an den Start ging. Zu diesem Zeitpunkt wusste ich, dass wir ein Team sind, dass wir uns gegenseitig vertrauen und dass ich ankommen werde. Nach 13 Tagen bin ich mit meinen Hunden über die Ziellinie gelaufen. Ein Gefühl, das mir heute noch Gänsehaut bereitet.“
Welche Rennen stehen für Silvia und ihre Huskys als nächstes an? „Am 9. März starte ich mit meinen Hunden beim Finnmarksløpet über 1.200 km durch den norwegischen Norden. Mein Traum ist es außerdem, noch einmal beim Yukon Quest über die 1.600 km zu fahren. 2003 verlief die Strecke von Whitehorse in Kanada bis nach Fairbanks in Alaska – 2020 geht der Routenverlauf von Fairbanks zurück nach Whitehorse. Dies wäre für mich die Vollendung einer langen Schlittenhundezeit.“ Neben dem sportlichen Training hilft auch eine energiereiche Fütterung Silvias Huskys auf die Sprünge. „Ernährung ist ein ganz großer Part. Du kannst einem Hund, der Höchstleistungen erbringt, nicht mit minderwertiger Nahrung füttern. Ein Schlittenhund benötigt auf einem Rennen wie dem Yukon Quest oder dem Finnmarksløpet gut 12.000 Kalorien. Ein guter Mix aus Fleisch, Fett und hochwertigem Trockenfutter ermöglicht es, dass die Hunde mit viel Energie versorgt werden und ohne Leistungsverlust ein Rennen bewältigen können.“ Und wie finanziert sich das Abenteuer? „Wie bei jeder Sportart, die man als Profi betreibt, geht es nicht ohne Sponsoren. Menschen oder Unternehmen, die an einen glauben. Außerdem schreibe ich Bücher (u. a. „Nordwärts“ oder „Tausend Meilen Eis“) und halte Vorträge.“ Die Erfahrungen dafür sammelt Silvia am liebsten draußen, gemeinsam mit ihren Hunden. Unendliche Weiten, an Grenzen kommen und nicht auf der Strecke bleiben – das macht die Musherin glücklich.
TEXT Stefanie Ohl | FOTOS Silvia Furtwängler